Immer wieder aktuell: Kurvengeräusche bei Schienenfahrzeugen


Kurvengeräusche bei Schienenfahrzeugen sind ein altes Thema. Ihre Entstehung ist in der Regel nicht auf einen technischen Defekt, ungünstige betriebliche Vorgaben oder gar mangelnde Wartung zurückzuführen, sondern auf systemtypische Unzulänglichkeiten des Rad-Schiene-Systems. Auch wenn es im Laufe der Zeit gelungen ist, die Kurvengeräusche gegenüber früher wesentlich zu senken, wird sich ein gelegentliches "Restkreischen" nicht immer vollständig vermeiden lassen. Da die Geräuschentstehung in hohem Maße witterungsabhängig ist, gilt dies insbesondere in Phasen großer Hitze und Trockenheit. Es sei ausdrücklich betont, daß eine Herabsetzung der Fahrgeschwindigkeit die Kurvengeräusche nicht zwangsläufig reduziert, sondern sogar noch weiter verstärken kann.

Die meist kurzen, dafür aber unangenehm lauten Schleif- und Heulgeräusche in engen Kurven entstehen durch Schwingungen der Radscheiben. Der Frequenzbereich liegt etwa zwischen 500 Hz und 5 kHz, wobei die einzelnen Eigenfrequenzen deutlich hervortreten. Ihr Schalldruckpegel kann das eigentliche Rollgeräusch um mehr als 30 dB(A) übertreffen.

Die Mechanismen der Geräuschentstehung sind leicht zu verstehen. Sie sind beim bogenaußen und bogeninnen laufenden Rad unterschiedlich. Entsprechend unterscheiden sich die jeweils entstehenden Geräusche.

Bei der Kurvenfahrt wirken zwischen dem Spurkranz des außen laufenden Rades und der Schienenkopfflanke große seitliche Spurführungskräfte, die das Fahrzeug in die Kurve zwingen. Der Spurkranz schleift hierbei - unter deutlicher Geräuschentwicklung - an der Flanke des Schienenkopfes. Dieses "Anlaufgeräusch" ist eher breitbandig. Ganz klar, daß durch eine geeignete Schmierung des Spurkranzes oder der Schienenkopfflanke eine Minderung der Geräusche (und des Verschleißes!) erzielt werden kann.

Das bogeninnen laufende Rad muß dagegen von der Achse in die Kurve hineingedrückt werden. Hierbei muß die Haftreibung auf der Schienenoberfläche in Querrichtung überwunden werden. In schnellem Wechsel (Größenordnung Tausendstel Sekunden) verspannt sich das Rad gegenüber der Schiene, bis es sich - wenn seine Rückstellkraft größer wird als die Haftreibung - ruckartig entspannt. Natürlich nur, um sich sofort wieder neu zu verspannen. Dieser sogenannte "stick-slip"-Effekt ist ähnlich der ungeschickten Kreidebewegung auf einer Wandtafel (und, nebenbei gesagt, auch dem Streichvorgang bei der Geige verwandt - nur da klingt es besser). Er führt zum eigentlichen "Kurvenkreischen". Dieses Geräusch ist weit lauter und störender als das bogenaußen entstehende Anlaufgeräusch. Eine Schmierung der Kontaktflächen (Schienenfahrfläche und Radlauffläche) scheidet aus sicherheitstechnischen Gründen als wirksame Maßnahme der Geräuschminderung fast immer aus.

Stärke und Häufigkeit der Kurvengeräusche sind von zahlreichen Parametern abhängig. Bekannt sind fahrzeugtechnische Einflüsse (z.B. die Radaufstandskraft), geometrische Einflüsse (Spurspiel), Einflüsse von Werkstoffen, Witterungseinflüsse und der Einfluß der Trassierung (Kurvenradius).

Als Maßnahmen zur Minderung können spezielle Schwingungsabsorber eingesetzt werden. Bestimmte Konstruktionen - abgestimmt auf die Eigenfrequenzen der Räder - sind zur Montage an die Radscheiben vorgesehen, andere Konstruktionen zur Montage an den Schienensteg. Des weiteren haben sich Maßnahmen bewährt, die die Reibungsverhältnisse zwischen Rad und Schiene beeinflussen (Besprühen der Schienenlaufflächen mit Wasser oder bestimmten Reagenzien, Aufschweißen von bestimmten Materialien).

Bei Neukonstruktionen von Fahrzeugen wird versucht, durch steuerbare Radsätze und geometrische Optimierung der Räder, ggf. durch unkonventionelle Materialwahl, das Kurvengeräusch zu mindern.

Grundsätzlich ist festzuhalten, daß sich beim Neubau einer Trasse wie auch bei der Neukonstruktion von Fahrzeugen die Entstehung von Kurvengeräuschen bis heute noch nicht sicher voraussagen läßt und daß technische Maßnahmen nicht in allen Fällen zum Ausschluß der Geräusche führen.

Die Richtlinie Schall 03 trägt diesem Umstand Rechnung, indem die Korrekturwerte zur Berücksichtigung des Kurveneinflusses DRA gemäß Kap. 5.8, Tabelle 6, erst beim tatsächlichen Auftreten von Quietschgeräuschen in Ansatz zu bringen sind.

    Anmerkung:
    Das Auftreten von Quietschgeräuschen kann natürlich erst nach Inbetriebnahme einer neuen oder wesentlich geänderten Trasse festgestellt werden. Damit ist das Ergebnis einer im Stadium der Planung durchzuführenden Schalltechnischen Untersuchung im Grunde genommen nur vorläufig. Um die hierdurch entstehenden Schwierigkeiten abzuwenden, wird gelegentlich vorgeschlagen, die Korrekturwerte DRA von vornherein in die Immissionsberechnung einzubeziehen. Natürlich führt dies zu höheren Beurteilungspegeln und erschwert möglicherweise die Durchsetzung einer Baumaßnahme.



Literaturhinweis:

F. Krüger: "Kurvenquietschen im Nahverkehr" (STUVA 1994, Forschungsbericht FE-Nr. 70413/93).

Klaus Lipinsky: Laboruntersuchungen zur Klärung von Entstehungsmechanismen und Beeinflussungsmöglichkeiten der Bogenlaufgeräusche im schienengebundenen Nahverkehr. Dissertation TU Berlin 1984.

Horst Hübner: Unterdrückung stick-slip induzierter Kurvengeräusche bei Eisenbahnschienen durch physikalisch-chemische Oberflächenbehandlung. Dissertation TU Berlin 1973




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